Andreas Spechtl

Strategies (VÖ: 24.05.2019)

Die Avantgarde, die sich, so sagt man, schneller als das Licht bewegt, muss ja gerade deshalb immer auch im Dunkeln reisen, da sie ihr Ziel nicht kennt, nicht sieht, wohin genau sie sich da gerade bewegt. Es gibt ja noch keine Wegmarken, Abzweigungen, ganz zu schweigen von Karten auf ihrem Weg. Dieser wird schließlich erst im Nachhinein sichtbar, ihre Spuren erst im Nachhinein in ihrer Klarheit lesbar, wenn das Licht dann langsam folgt. Viel von dieser auch aktuell realpolitischen Düsternis merkt man „Strategies“, dem neuen Album des rastlosen Avantgarde-auteurs Andreas Spechtl, allerdings gar nicht an. Ganz im Gegenteil. Wo die beiden Vorgängeralben „Sleep“ und „Thinking About Tomorrow (And How To Build It)“ intime, stille, persönliche Reisen an den Rändern Europas oder durch den Iran dokumentierten, mit skeptischem Blick auf die politischen Verschiebungen der letzten Jahre, explodiert „Strategies“ geradezu mit einer Lust an Beats, an Techno, an Tanz, an Festlichkeit, an Widerstand.

Der globalen, politischen Verunsicherung folgt hier das neue Selbstbewusstsein, folgen die neuen Strategien, folgt die neue Lust am Ausbruch, an der Ekstase, am Wahnsinn und an Anarchie und zwar ab den ersten Melodien, ab den ersten Zeilen, wenn in Openings anfangs noch an die stillen, intimen Momente des Vorgängers angeschlossen wird, ein Klavier verhallt, ein Saxophon vorüberzieht, bevor dann allerdings die Beats einsetzen und ein fast schon hymnisches „yes, we will change the world / because we’ve done so / many times before“ den euphorischen Takt für den Rest des Albums vorgibt.

Überhaupt die Stimme! Wo diese auf dem Vorgängeralbum fast verschwunden war, kehrt sie hier zurück, mit all dem charmanten Dandyismus und tanzt, schreit, flüstert, klagt und spaziert unerschütterlich l ssig bis aggressiv durch die Techno, Tribal und Disco Beats, skandiert Texte, deren scheinbar frisch gewonnene Coolness als universales Antidot gegen die weltweite Vakuumpolitik anstecken und infizieren, am l ssigsten sicherlich in The Separate, wo eine kongeniale Max-Weber-Paraphrase die postdemokratische Politik junger, dynamischer, neoliberaler Anzugtr ger auf den Nagel trifft, die nur noch das „Bohren schwarzer Löcher“ ist. Eine Stimme, die auch mal ins Spanische ausbricht, wenn in When We Were Young zusammen mit Anna Seghers als ghostly witness der große Europäische Opfermythos der letzten Jahre, dass man ja schließlich nicht alle aufnehmen könne, mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird und mit einem fast sp ttischen „abre la puerta / est golpeando europa“ nicht nur an die verdrängten Geister erinnert wird, dass es n mlich vor nicht einem Jahrhundert die Europäer waren, die weltweit auf der Flucht waren, sondern auch, dass schon damals die „world wide wall“ im Einsatz war und zum Beispiel die USA kommunistischen Flüchtlingen die Einreise verwehrten. Ganz anders Mexiko, wo das Album eigentlich geschrieben wurde. In Santiago de Quer taro, in der N he von Mexiko City, haupts chlich auf einem Modularsystem und zwei Synthesizern. Keine VSTs, kein digitales Equipment, der Computer wurde zum bloßen Mehrspurrekorder degradiert. Und genau diese Tiefe der analogen Sounds hört man dem Album auch an. Deshalb ist der Sound wohl auch in sich so schlüssig, klingt nichts nach digitalem Feintuning, klingen die Songs viel eher als hätte sie ein großes, mitunter verstimmtes Orchester in einer fantastischen Session zusammen entwickelt.