Bärchen und die Milchbubis

Die Rückkehr des Bumm! (VÖ: 19. April 2024)

Mit Jung kaputt spart Altersheime lieferten Bärchen und die Milchbubis zu Beginn der 80er-Jahre DEN Punk-Slogan der Zeit, „No Future!“, war das Motto. Doch auch über den Punk hinaus verfügte die Band über reichlich Pop-Appeal und agierte an der Schnittstelle zur Neuen Deutschen Welle. Ich will nicht älter werden, hieß es auf ihrem Debütalbum Dann macht es Bumm (1981). Älter geworden sind sie, milde jedoch nicht, denn Anlass zum Wütend-Sein und Feiern gibt es noch immer. Über 40 Jahre später folgt nun mit ihrem zweiten Album also Die Rückkehr des Bumm!

Ende der Siebziger begannen Annette „Bärchen“ Simons und eine Gruppe Teenager-„Milchbubis“, Hannover unsicher zu machen. Von da an war die Band mit ihren humorvoll-subversiven Texten breitflächig vertreten: Von Jugendzentren, Underground-Tapes und nischigen Fanzines über die Bravo bis ins BRD-Fernsehen sowie auf den großen Bühnen des Landes – viele waren dem Bärchen-Charme verfallen. Nach einer LP und einer EP folgte 1983 mit der Label- auch die Bandauflösung und die Gruppe verschwand vorerst von der Bildfläche.

2021 meldeten sich Bächen und die Milchbubis dann mit der Werkschau Endlich Komplett Betrunken zurück. Es folgten Auftritt-Anfragen kleinerer Punk-Festivals: Hätte die Band nicht Lust, nach all der Zeit mal wieder live aufzutreten? Und wie sie es hatte! Annette Simons, die zu Gründungszeiten „nur“ Sängerin war, hat sich ganz in Punk-Manier das Gitarrenspielen beigebracht. Auch Kai Nungesser bleibt an Bass und Gesang erhalten. Neuzugang ist der ehemalige Rotzkotz-Schlagzeuger Markus Joseph.

Back to the future in den 80ern, singt Annette in Blondie, und vertont damit am Ende der Tracklist eine Prämisse des neuen Albums: Es ist eine Zeitkapsel, die im Jetzt aufplatzt und anfängt, zu singen. 1984-2024 haben wir übersprungen. Vorbei sind Disco, Trance, Techno und Hip-Hop. Angesichts der aktuellen Weltlage wird das freundliche Bärchen zur Aggro-Bärin, welche diejenigen verteidigt, die am Rande der Gesellschaft stehen und die unsägliche Mansplainer mit einer Tatze zerfleischt. Besonders das Älterwerden als Frau in einer sexistischen Gesellschaft ist ein Thema, das Annette Simons umtreibt und sie zum Role Model werden lässt. In Zeiten von Onlinedating, Rechtsruck und Katzenvideos ist Bärchen trotzdem nicht verbittert und besingt das alles mit scharf- und manchmal unsinnigem Humor. Und weil das Musizieren mit Freund:innen noch mehr Spaß bringt, wurden u. a. die Hans-A-Plast Sängerin Annette Benjamin oder Doktor Renz von Fettes Brot als Featuregäste eingeladen.

Schon 1983 fragte sich Elke Heidenreich in der Zeit, was die Band wohl mit dem „ungeliebten Erbe“ machen würde – dem „Scheißstaat“, dem unvermeidlichen Älterwerden. Gut vierzig Jahre später sind die Antworten auf dem neuen Album Die Rückkehr des Bumm! zu finden. Manchmal klingt sie ganz versöhnlich: mehr Zeit, kein Stress mit PMS. Ich bin alt und ich darf alles – rauchen, saufen, alles: Ich bin alt! - Und ja: Sauftour, Lokalrunde und die Portion Pommes auf den Rauschhunger bleiben Teil vom Bärchen-Kosmos. In den ruhigeren Momenten besingt das Album den Körper, der so dahinsiecht, das große Vergessen, das droht, Albträume von heute: die Geister im Wald.

Bärchen und die Milchbubis kitzeln die Wut vom ernsten Punk-Habitus am verkrampften Bierbauch und vertonen das unfreiwillige Lachen, das dabei rauskommt. Entstanden ist so also ein Album, das den Punk ins Jahr 2024 katapultiert und allen Aggressionen, aller Ungerechtigkeit und allen Trauermomenten zum Trotz voller Liebe und Humor ist. Inzwischen finden sich nicht nur alte Bekannte unter den Bärchen-und-die- Milchbubis-Fans, sondern die Band konnte auch eine neue Generation für sich gewinnen, darunter namhafte Künstler:innen wie Sam Vance-Law und Akteur:innen der N e u e n Neuen Deutschen Welle wie Steintor Herrenchor, die beide sogar Songs der Band coverten – The kids are still alright! So ist auch dieses Album ein Anlaufpunkt für all diejenigen, die Punk als Ventil gegen die aktuellen gesellschaftlichen Missstände (wieder)entdecken und fühlen.

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